Wednesday, May 31, 2017

Berlin Breitscheidplatz: die ungeklärte Geschwindigkeit des LKW


- oder: was macht die "Ermittlergruppe City"?

 

 

 

Die Geschwindigkeit, mit der der LKW bei seiner Amokfahrt über den Weihnachtsmarkt "raste", war monatelang Gegenstand von Gerüchten und Spekulationen. Zeugenaussagen waren widersprüchlich, Medienberichte ungenau und Ermittlungsbehörden wortkarg. Dann überraschte die ZEIT am 5. April mit detaillierten, auf GPS-Daten gestützten Angaben, die unscheinbar in einen langen Rückblick eingebettet waren:
Um kurz nach 20 Uhr hält er an einer roten Ampel. Als die Ampel auf Grün springt, fährt Amri an. Es ist 20.02 Uhr. Mit rund 15 km/h schiebt sich der LKW auf den Weihnachtsmarkt. 15 km/h sind nicht besonders schnell, doch an diesem Abend auf dem überfüllten Markt genug, um Menschen zu überrollen und Buden niederzureißen.
http://www.zeit.de/2017/15/anis-amri-anschlag-berlin-terror-staatsversagen/komplettansicht 

Aus dem "Rasen" ist auf einmal ein "Schieben" geworden. Ob 15 km/h schnell genug sind, um 12 Menschen zu töten und Dutzende zu verletzen sei einmal genauso dahingestellt wie die Behauptung, der Markt wäre "überfüllt" gewesen (das war er allen öffentlich zugänglichen Fotos und Videos zufolge wohl nicht). Interessant ist aber, dass diese langsame Geschwindigkeit nicht nur in Widerspruch zu dem berühmt-berüchtigten Dashcam-Video steht, auf dem der LKW erkennbar schneller ist und nicht an einer roten Ampel hält, sondern auch zu einer Meldung, die eine Woche nach dem Anschlag in der ganzen Republik die Runde machte: dass der LKW durch das automatische Bremssystem in seiner Fahrt gestoppt wurde.
Bei dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember war es offenbar einer technischen Vorrichtung am Lastwagen zu verdanken, dass nicht noch mehr Menschen ums Leben gekommen sind. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR kam der Lkw nur deshalb nach 70 bis 80 Metern zum Stehen, weil die Zugmaschine mit einem automatischen Bremssystem ausgerüstet war. Zu diesem Ergebnis kommt die Ermittlergruppe "City", die unter Leitung des Generalbundesanwalts den Anschlag aufklären soll.

Das automatische Bremssystem reagiert demnach auf einen Aufprall und betätigt von selbst die Bremsen. "Diese Technik hat Leben gerettet", hieß es in Berliner Regierungskreisen. Wäre der Lastwagen damit noch nicht ausgerüstet gewesen, wären wohl viel mehr Menschen gestorben. Bei einem ähnlichen Anschlag in Nizza am 14. Juli 2016 waren auf der Uferpromenade mehr als 80 Passanten getötet worden.
 
http://www.sueddeutsche.de/politik/terroranschlag-lkw-bremssystem-verhinderte-noch-mehr-tote-in-berlin-1.3312551

Der Artikel ist eine Koproduktion der renommierten Journalisten Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Nicolas Richter und wurde von der gesamten deutschsprachigen Medienlandschaft zitiert und diskutiert. Die Darstellung (...kam der Lkw nur deshalb nach 70 bis 80 Metern zum Stehen...) insinuiert eine hohe Geschwindigkeit mit einem langen Bremsweg. 

Jedoch: Mit 15 km/h hätte der LKW einen Bremsweg von maximal 3 Metern gehabt. Er wäre schon vor der ersten Kollision mit einem Menschen oder einer Bude automatisch abgebremst worden, mithin sehr bald und mitten auf dem Weihnachtsmarkt zum Stehen gekommen. Die Aussagen der beiden Artikel sind schlicht unvereinbar. Experten zweifeln überdies angesichts der Luftaufnahmen vom Tatort an, dass ein automatisches Bremssystem zum Zuge kam. 

Die Quelle für den Bericht der Süddeutschen Zeitung war eine beim Generalbundesanwalt angesiedelte "Ermittlergruppe City". Die Gruppe dürfte mit den GPS-Daten ebenso vertraut sein wie die Ermittlerkreise, auf die sich die ZEIT beruft. Dieser offene krasse Widerspruch ruft nach einer Klarstellung seitens des Generalbundesanwalts, des BKA, des LKA Berlin oder einer anderen an den Ermittlungen beteiligten Behörde. Wie schnell war der LKW?

Von der "Ermittlergruppe City" hörte man nach dieser Meldung lange nichts mehr, bis sie just heute als BKA-Sonderkommission mit "hunderten Beamten" wieder ins mediale Rampenlicht trat.

http://www.tagesschau.de/inland/amri-berlin-ermittlungen-101.html


Sunday, May 07, 2017

Berlin Breitscheidplatz: das Dashcam Video ist Fake News - bestätigt


In den zwei letzten Beiträgen (hier und da) habe ich schon auf den dubiosen Charakter des Dashcam-Videos hingewiesen, wofür vor allem die Anonymität, der unmotivierte Schnitt und die unsäglich schlechte Bildqualität stehen. Beide Artikel basieren aber ansonsten auf der Annahme, dass über diese peripheren Bearbeitungen hinaus keine konkreten, "chirurgischen" Eingriffe ins Bildmaterial vorgenommen wurden (dass also etwa der LKW an bestimmten Stellen hineinkopiert wurde). Von dieser Annahme ausgehend kam ich zu dem Schluss, dass der LKW auf der Strasse bleibt und nicht über den Weihnachtsmarkt fährt.

Die Annahme ist nicht mehr haltbar, mit anderen Worten: es hat wohl konkrete Manipulationen am Bildmaterial gegeben. Ich habe zwei frames (Standbilder) isoliert. Eines davon schliesst die Möglichkeit aus, dass der LKW auf den Weihnachtsmarkt fährt, das andere schliesst aus, dass er auf die Budapester Strasse fährt. Conclusio: es wurde gefälscht.

Der Nachweis läuft dergestalt: es gibt im Dashcam-Video eine Reihe von vertikalen Landmarken wie Laternen, Ampeln, Weihnachtsbäume und Ecken von Gebäuden oder Buden. Wenn der LKW an so einer Landmarke vorbeifährt, lässt sich seine Position eingrenzen auf die Sichtlinie zwischen Dashcam und Landmarke. Das Prinzip habe ich bereits in meinem letzten Artikel erläutert. Der LKW verfügt ausserdem selbst über drei im Video erkennbare vertikale Marken, nämlich die rechte Vorderkante sowie die rechte und linke Hinterkante.

Mit Hilfe zweier (oder mehr) Landmarken lässt sich nun der Abstand zwischen rechter Vorder- und Hinterkante, also die Länge des LKW, recht gut abschätzen. Diese war real 16,5 Meter, was sich natürlich im Satellitenbild wiederfinden sollte. Und hier liegt das Problem.

In diesem Standbild...



...ist die rechte Vorderkante des LKW unsichtbar, weil durch den Weihnachtsbaum verdeckt. Dieser stellt also eine Landmarke dar, mit deren Hilfe man die Position der Vorderfront eingrenzen kann. Entprechendes gilt für die Fussgängerampel mitten auf der Kantstrasse (erkennbar an dem dreieckigen "Vorfahrt beachten"-Schild auf der Spitze), die genau auf einer Linie mit der rechten Hinterkante des LKW liegt. Das führt zu folgendem Diagramm:


Hierbei repräsentieren gelbe Punkte Landmarken wie Laternen, Ampeln oder Gebäudeecken, gelbe Rechtecke Buden vom Weihnachtsmarkt und grüne Rauten die pyramidenförmigen Weihnachtsbäume. Das rote Rechteck repräsentiert die Position des LKW, falls er auf den Weichnachtsmarkt gefahren wäre. Diese lässt sich relativ genau bestimmen, weil die enge Einfahrtschneise wenig Spielraum lässt.

Die rechte Hinterkante des LKW liegt auf einer Sichtlinie mit der Fussgängerampel F1 und der Ecke des flachen Bikini-Vorbaus. Mit einer Länge von 16,5 Metern müsste das Führerhaus dann im Standbild sichtbar sein, den Weihnachtsbaum W1 passiert und die Sichtlinie zur Fussgängerampel F2 (gestrichelt) erreicht haben. Da das nicht der Fall ist - der LKW müsste etwa 3 Meter kürzer sein, um dem Standbild gerecht zu werden - dokumentiert das Standbild, dass er nicht auf den Weihnachtsmarkt gefahren ist. Was es dagegen möglich erscheinen lässt, ist ein Einbiegen in die Budapester Strasse (blaue Rechtecke).

Mit der Unschärfe des Videos oder des Satellitenbildes oder grafischen Ungenauigkeiten lässt sich die krasse 3-Meter-Diskrepanz im übrigen nicht erklären. Eine minimale Verschiebung der Sichtlinien würde an der Beweisführung nichts ändern.

Ein paar Zehntelsekunden später ist dieses Standbild entstanden:


Das schwarze Quadrat umfasst die Bude an der Ecke, mit der Leuchtleiste an der Dachkante und der kranzförmigen Zierbeleuchtung auf dem Dach. Der LKW fährt gerade hinter dieser Bude vorbei. Das erkennt man daran, dass er ein Licht verdeckt, das im vorherigen Standbild noch sichtbar ist:


Es wird an dieser Stelle vorübergehend dunkler, und die Dauer dieser Abdunklung entspricht genau der Geschwindigkeit des LKW. Das Licht scheint durch die vordere und rechte Seite der Bude hindurch und muss von der Bude gegenüber stammen - die ja tatsächlich hell erleuchtet war, wie man von diversen Videos weiss. Die folgende Grafik illustriert die Situation:



Die rechte Hinterkante des LKW liegt diesmal auf einer Sichtlinie zum Bikini, zu einem Punkt etwas rechts von der Ecke des Hauptgebäudes. Sobald der LKW die Sichtlinie durch die Fussgängerampel F2 überschreitet, beginnt er die Beleuchtung der gegenüberliegenden Bude zu verdecken. Dieses Standbild wirft also für eine Auffahrt auf den Weihnachtsmarkt keine Probleme auf - wohl aber für ein Einbiegen in die Budapester Strasse, erstens weil der LKW die Beleuchtung nicht verdecken würde, und zweitens, weil er mit seiner Vorderfront noch weit entfernt von der F2-Sichtlinie wäre. Diesem Standbild nach ist der LKW also nicht auf die Budapester Strasse gefahren.

Da ausser Weihnachtsmarkt und Budapester Strasse keine anderen Fahrtrouten denkbar sind, heisst das, dass die beiden Standbilder sich widersprechen. Dann muss aber an mindestens einem von beiden eine konkrete Fälschung vorgenommen worden sein, womit das Dashcam-Video als Fake News entlarvt ist.

Das hat weitreichende Konsequenzen. Der Verdacht ist erhärtet, dass das Video gezielt angefertigt und verbreitet wurde, um eine bestimmte Version der Ereignisse - nämlich dass der LKW, von der Hardenbergstrasse kommend, auf den Weihnachtsmarkt raste - im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Das Video ist der einzige konkrete Hinweis für eine hohe Geschwindigkeit bei Auffahrt auf den Markt, und mit seiner Falsifizierung gewinnt das Szenario, dass der LKW langsam war, massiv an Plausibilität.

Eine weitere Konsequenz ist, dass auch anderen Details in dem Video nicht zu trauen ist - etwa der Uhrzeit 20:01, die die Gedächtniskirche anzeigt.




Dazu werde ich im nächsten Blog-Post Stellung nehmen.